Monica Gutman & Max von Pauer ...

... eine überraschende Begegnung mit Tempo

2012 hatte ich das Vergnügen, Monica Gutman an meinem Ibach-Flügel von 1912 u.a. mit den „Harmonies du soir“ aus den „Etudes d’ exécution transcendante“ von Franz Liszt zu hören. Ich war beeindruckt von dem Stück und Monicas Spiel.

Im Welte Katalog fand ich die „Harmonies du soir“ als Rolle mit der Nummer 844, eingespielt von Max von Pauer. Die Aufnahme war am 21. November 1905 im Freiburger Welte-Aufnahmestudio erfolgt. Kurze Zeit später war ich im Besitz der Rolle. Auch bekam ich Monica Gutmans CD „THE OCEAN ART HOUSE CONCERT“, aufgenommen im April 2011 auf einem Steinway-Konzertflügel D-274 im Großen Saal der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main.

Beim Vergleich der Aufnahmen war ich überrascht: Die Interpretationen von Monica Gutman und Max von Pauer dauern beide exakt 08:13 Min. Zum Vergleich: In einer EMI Classics-Aufnahme von 1989 spielt Tzimon Barto das gleiche Stück in 12:24 Min.

Bringen wir beide Künstler doch nach 106 Jahren einfach zusammen – Sie hören Monica Gutman und Max von Pauer:

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Mit Klick auf das jeweilige Bild öffnen Sie die Biografien von Monica Gutman und Max von Pauer.


Monica Gutman über die Interpretation von Max von Pauer

Man hört definitiv den Künstler heraus!

Im Laufe des Hörens vergisst man völlig, dass es sich um die Wiedergabe durch ein mechanisches Instrument handelt. Die Musik tritt in den Vordergrund, und man hört definitiv den Künstler heraus.

Die „Harmonies du soir“ werden auch von heutigen Pianisten sehr unterschiedlich gespielt. Das Stück, das verschiedene atmosphärische Stimmungen enthält, erfordert geradezu eine freie Interpretation. Ich selbst spiele es in Konzerten sogar je nach Verfassung anders. Insofern hätte ich wohl keine Unterschiede zu einem Vortrag der Gegenwart gehört, wenn Pauer das Stück auf einem Flügel von heute gespielt hätte.

Monica Gutman im August 2013


Max von Pauer und das Welte Mignon

Max von Pauer hat acht Rollen für das Welte-Mignon eingespielt. Sie wurden am 21. November 1905 in Freiburg i. Br. aufgenommen.

Am 1. Dezember 1905 schrieb er für das Autogrammbuch von Welte:

Der Apparat „Mignon“ hat meine hochgespannten Erwartungen derart übertroffen, dass ich nur sagen kann: man muss das Wunder gehört haben, um es zu glauben. Es schien mir nicht denkbar, dass ein Apparat eine „Seele“ haben könnte, und doch habe ich mich bekehren lassen müssen. Viel ist schon über „Mignon“ geschrieben worden, ich beschränke mich darauf zu zeigen, dass das scheinbar unmögliche durch diese geniale Erfindung zu glänzender Wahrheit geworden ist. 1

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Höchst interessant ist eine Äußerung Pauers über die Erfahrung, die Wiedergabe seines eigenen Spiels zu hören:

„Der bemerkenswerte Apparat für die Aufnahme des Spiels von Virtuosen und dann die Wiedergabe durch eine mechanische Vorrichtung ist eine Art Offenbarung für den Pianisten, der ihn zum ersten Mal probiert. In der Aufnahme des Spiels von Künstlern, deren Interpretationen mir vollkommen vertraut sind, bleiben immer noch unbestritten Zeichen von Individualität. Manchmal sind diese Zeichen leichte Mängel, die aber dennoch so geringfügig sind, dass sie nicht mehr bewirken als einen Charakter zu verleihen. (…)

Als ich der ersten Aufnahme meines Spiels lauschte, hörte ich Dinge, die mir unglaublich erschienen. Machte ich nach Jahren des öffentlichen Spielens Fehler, die ich als Erster bei jedem meiner Schüler verurteilen würde? Ich konnte kaum meinen Ohren trauen, und doch zeigte die unerbittliche Maschine, dass ich es an manchen Stellen versäumt hatte, mit beiden Händen exakt zusammenzuspielen, und ich hatte andere, nicht weniger scheußliche Fehler verschuldet, weil sie unbedeutend waren. Indem ich meinem eigenen Spiel lauschte, wie es wiedergegeben wurde, erfuhr ich, dass ich unbewusst bestimmte Nuancen hervorgehoben, verschiedene Stimmen betont und spezielle Akzente gesetzt hatte, ohne es zu bemerken. All dies zusammen war eine höchst interessante Beobachtung für mich, und es wurde sehr klar, dass die Persönlichkeit eines Künstlers alles durchdringen muss, was er macht. Ist seine Technik gut genug, erlaubt ihm das, mit Geläufigkeit und Selbstausdruck zu sprechen und den Wert seiner Arbeit um ein Tausendfaches zu steigern. 2

  1. Welte, Autogramme berühmter Meister der Tonkunst. Originalausgabe Welte o. O. o. J.
  2. James Francis Cooke, Great Pianists on Piano Playing. Study Talks With Formost Virtuosos. Philadelphia 2. Auflage 1917. S. 201. (Übersetzung aus dem Englischen: Martin Breuninger.)

Biografie Monica Gutman

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Monica Gutman wurde in Rumänien geboren und trat bereits als Zehnjährige in Konzerten und im Fernsehen auf.

Sie studierte in Bukarest, Detmold, Hannover und London. Ihre wichtigsten Lehrer waren Louis Kentner, einer der großen Liszt-Interpreten des 20. Jahrhunderts, sowie Vladimir Krajnev, der neben Emil Gilels, Swjatoslaw Richter und Radu Lupu der Schule des russischen Klavierpädagogen Heinrich Neuhaus angehörte. Weitere Mentoren waren der Pianist György Sebök und der Bratschist Bruno Giuranna, mit dem sie kammermusikalisch zusammenarbeitete.

Monica Gutman trat auf Podien wie der Alten Oper in Frankfurt, dem Berliner Schauspielhaus, der Münchner Philharmonie im Gasteig und St. Martin in the Fields in London auf. Sie gastierte unter anderem bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen, dem Bad Kissinger Musiksommer und dem Schleswig-Holstein Musik Festival. Sie ist regelmäßig zu Gast bei der Konzertreihe „Klassik in Ca'n Bonico“ auf Mallorca. Konzertreisen führten sie in die Schweiz und USA, nach Holland, Kanada, Australien und Südafrika.

Monica Gutmans breit gefächertes Repertoire reicht von der Klassik und Romantik bis hin zu vielen Neu- und Wiederentdeckungen des 20. Jahrhunderts und ist auf mehreren CDs dokumentiert. Unter anderem spielte sie Werke der Reger-Schülerin Johanna Senfter sowie von Erwin Schulhoff ein, ebenso von Franz Liszt, George Enescu und Dinu Lipati. Darüber hinaus hat sie bei zahlreichen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands Aufnahmen gemacht.

Monica Gutman lehrt als Dozentin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main.

Max von Pauer – Werktreuer Individualist

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Max von Pauer war ein international anerkannter Pianist und Musikpädagoge. Er wurde am 31. Oktober 1866 in London geboren. Seine Eltern waren die deutsche Sängerin Ernestine Melinka Andreae (* 27. September 1831 in Frankfurt a. M.; † 17. August 1913 in Jugenheim) und der österreichische Pianist, Komponist und Musikpädagoge Ernst Pauer (* 21. Dezember 1826 in Wien; † 5. Mai 1905 in Jugenheim).

Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er von seinem Vater. Unter ihm studierte er bis 1881 an der Royal Academy of Music in London. In diesem Jahr schickte ihn sein Vater zu dem Komponisten Vincenz Lachner nach Karlsruhe. Lachner war dort zunächst als Privatlehrer und ab 1884 am Großherzoglich Badischen Konservatorium tätig.

Während seines Studiums in Karlsruhe hatte Pauer seine ersten öffentlichen Auftritte in Deutschland, England und den Niederlanden.

Hand in Hand mit seiner Karriere als Pianist ging seine Laufbahn als Musikpädagoge. Von 1887 bis 1897 lehrte Pauer am Konservatorium in Köln. 1897 wechselte er an das Königliche Konservatorium für Musik in Stuttgart, dessen Leitung er 1908 übernahm. Für seine Verdienste erhob ihn König Wilhelm II. von Württemberg in den Adelsstand.

Unter der Direktion von Pauer erhielt das Konservatorium 1921 den Rang einer modernen Musikhochschule, was eine Trennung von Künstlern und Dilettanten sowie halbjährlich durchgeführte Pflichtprüfungen beinhaltete.

Von 1924 bis 1932 übernahm Pauer die Leitung des Landeskonservatoriums der Musik zu Leipzig und war von 1933 bis 1934 Direktor der städtischen Musikhochschule in Mannheim.

Von Pauer sind eigene kleine Klavierkompositionen erhalten. Außerdem gab er bei Verlagen wie Schott, Breitkopf & Härtel und Peters Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten heraus.

Pauer widmete sich besonders der Musik der deutschen Klassik und Romantik und legte großen Wert auf Werktreue. Zugleich forderte er Individualität bei der Interpretation:

Jeder von uns hat Arme, Finger, Muskeln und Nerven, aber was wir an der Tastatur zu sagen haben, sollte ein Ausdruck unseres eigenen Denken und Fühlens sein, keine Nachbildung eines stereotypischen Modells. 1

Der Komponist und Musikschriftsteller Walter Niemann, der ebenfalls für Welte eingespielt hat, charakterisierte Pauer als Akademiker – allerdings im besten Sinne: Dieser Begriff stehe nicht für einen unzeitgemäßen, trockenen oder vertrockneten Künstler, sondern für einen großen Akademiker im Sinne und Stile großer Klassizisten des Klavierspiels2

Pauer starb am 12. Mai 1945 in Jugenheim bei Darmstadt, dem Ort, in den sich auch seine Eltern im Alter zurückgezogen hatten.

  1. James Francis Cooke, Great Pianists on Piano Playing. Study Talks With Formost Virtuosos. Philadelphia 2. Auflage 1917. S. 201. (Übersetzung aus dem Englischen: Martin Breuninger.)
  2. Walter Niemann, Meister des Klaviers. Die Pianisten der Gegenwart und letzten Vergangenheit. Berlin 1919. S. 43.
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